Brocken, 5.2.2012, Personenzug mit Lok 99 7238-1
Eisenbahnfotos
von Jürgen Hanelt

Exkurs: Lokomotivbetrieb bei der Mälzerei 'Mich. Weyermann'


Eine betriebstechnische Voraussetzung für Gründung und Entwicklung des Mälzerei-Betriebes war (s.dort) die Gleisanbindung an das Staatsbahnnetz.
Sowohl der Rohstoffempfang (Gerste, Kohle) als auch der Malzversand erfolgte in den ersten 100 Jahren ganz oder großteils über die Schiene. Der lokale Absatz über den Strassenweg dürfte schon wegen der geringen Mengen (grössere Brauereien wie Rübsam oder Frankenbräu hatten eigene Mälzereien) keine nennenswerte Rolle gespielt haben.
Bereits um die Jahrhundertwende 1900 überstieg die Malzproduktion die 40.000 to-Marke und stieg weiterhin an.
Die Staatsbahn stellte die eingesetzten Wagen für Empfang und Versand in dem Übergabegleis zwischen dem westlichen Betriebsteil und den Staatsbahngleisen bereit oder holte sie dort ab. Das Gleis bildete betrieblich die 'Wagenübergabestelle'. Von dort musste dann die Firma Weyermann die Wagen über eine Drehscheibe in die Mälzerei verteilen. Für diesen Verschub waren entweder einige kräftige Männer oder (für beladene Wagen) Pferdekraft nötig. Die gesamte Werks-Gleislänge betrug ca. 500m.
Offensichtlich erschien der Betriebsleitung dieses Verfahren als verbesserungswürdig und es wurde ein werkseigener Lokomotivbetrieb geplant.
Durch die Fortschritte beim Einsatz von Elektrizität für (vorläufig leichte) Transportaufgaben auf der Schiene durch die Firmen Siemens und AEG schien offensichtlich auch der Betriebsleitung eine derart moderne Traktion hilfreich oder wegweisend.
Als kompetenten Geschäftspartner für Planung und Beschaffung der notwendigen Betriebsmittel hatte man die Bamberger Elektro-Großhandelsfirma 'Gross&Bohrer' gewählt. Deren Fachplanung sah die Beschaffung einer kleinen Lokomotive sowie eine Überspannung der Werksgleise mit der nötigen Stromversorgung über Oberleitungen vor. Als Betriebsspannung waren 110 Volt Gleichstrom vorgesehen, das Gleis diente als Minus-Pol für den Motor.
Schon bei der Planung wurde berücksichtigt, dass künftig die Verlagerung der Anschlussweiche von Norden nach Süden erfolgen würde (siehe Hauptbericht).
Im Plan der Firma Gross&Bohrer sind die Aufhängungspunkte für die Oberleitung markiert.


Eisenbahn Photograhphie - Weyermann Planung Elektrifizierung 1902 StBA
Weyermann Planung Elektrifizierung 1902 StBA


Die benötigte Lokomotive wurde als Teil des Angebotes am 24.11.1902 ausführlich beschrieben


Eisenbahn Photograhphie - Weyermann Lok173 Beschreibung 1902 1 StBA
Weyermann Lok173 Beschreibung 1902 1 StBA


Eisenbahn Photograhphie - Weyermann Lok173 Beschreibung 1902 2 StBA
Weyermann Lok173 Beschreibung 1902 2 StBA


und bei der AEG in Berlin für die Firma „Weyermann“ bestellt (Lieferliste).
In Berliner Archivbeständen gibt es ein sehr schönes Foto aus der Lokomotivproduktion bei der AEG in der Ackerstrasse in Berlin. Es datiert ungefähr von 1905, also etwa zum hier relevanten Zeitpunkt. Im Überblick sehen wir eine große Produktionstiefe.


Eisenbahn Photograhphie - AEG Lokfertigung Ackerstrasse ca1905 SDTB
AEG Lokfertigung Ackerstrasse ca1905 SDTB


Wenn wir im Ausschnitt den hinteren Teil der Werkshalle betrachten, sehen wir dort die Produktionslinie von kleinen zweiachsigen Loks mit Mittelführerstand. Jede Lok ist ein Unikat.


Eisenbahn Photograhphie - AEG Lokfertigung Ackerstrasse ca1905 Ausschnitt SDTB
AEG Lokfertigung Ackerstrasse ca1905 Ausschnitt SDTB


In diese Gruppe der Lokomotiven gehört auch die uns interessierende Maschine für die Mälzerei Weyermann mit der Seriennummer 173.
Diese Lokomotive wurde 1902 gebaut und wohl 1903 geliefert.
Nicht ganz klar ist derzeit, ob es jemals zu einem Betrieb auf dem Weyermann’schen Gelände gekommen ist, oder ob es bei Planung und - weitgehender - Beschaffung geblieben ist. Die Unwägbarkeiten rings um die Fabrik zu diesem Zeitpunkt sind im Hauptbericht beschrieben.
Als sicher kann gelten, dass die Lok 1905 an die Porzellanfabrik in Rehau weiterverkauft worden ist. Dort war sie bis 1994 im Einsatz und sie existiert noch heute bei den Eisenbahnfreunden in Selb.


Eisenbahn Photograhphie - AEG 173 Weyermann/Rehau, MuEC
AEG 173 Weyermann/Rehau, MuEC


Eisenbahn Photograhphie - AEG 173 Weyermann/Rehau MEC, MuEC
AEG 173 Weyermann/Rehau MEC, MuEC


Nach dem ersten Weltkrieg nahm die Firma Weyermann einen neuen Anlauf zur Verbesserung des Werks-Schienenverkehrs.
Im Jahr 1922 wurde eine kleine Lokomotive vom Typ ML132R mit Verbrennungsmotor beschafft. Lieferant war die führende Firma „Gasmotorenfabrik Deutz“ in Köln. Für diese Lok wurde am westlichen Gleis zwischen Lager und Maschinenhaus auch ein kleiner Lokschuppen gebaut, um die Maschine vor Wind und Wetter zu schützen.


Eisenbahn Photograhphie - Weyermann 1922 Lokomotivenhaus 3, StBA
Weyermann 1922 Lokomotivenhaus 3, StBA


Eisenbahn Photograhphie - Weyermann 1922 Lokomotivenhaus 5, StBA
Weyermann 1922 Lokomotivenhaus 5, StBA


Es gibt aus dieser Zeit auch zwei Abbildungen, die die kleine Lok auf dem Werksgelände zeigen.
In einer Vogelschau etwa von 1925 rangiert die Lok einen offenen Wagen zur Drehscheibe. Die Proportionen zeigen entweder winzige Eisenbahnfahrzeuge oder wahlweise gewaltige Fabrikgebäude.


Eisenbahn Photograhphie - Weyermann Vogelschau mit Lok ca1925 Ausschnitt, ChrFi
Weyermann Vogelschau mit Lok ca1925 Ausschnitt, ChrFi


Nicht anders ist es auf einem Briefkopf von 1927.


Eisenbahn Photograhphie - Weyermann Briefkopf 1927 Ausschnitt, StBA
Weyermann Briefkopf 1927 Ausschnitt, StBA


Von dieser Lokomotive soll es auch eine Fotografie geben, sie ist jedoch noch nicht bekannt geworden.
Um einen realen Eindruck zu bekommen, dient deshalb die Fotografie einer identischen Maschine aus Dürrenberg.


Eisenbahn Photograhphie - Deutz ML132R, HvH
Deutz ML132R, HvH


Bis wann die Lok bei der Mälzerei im Betrieb war, ist nicht genau bekannt, doch nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Lokschuppen (1947) abgerissen. Es kann wohl nicht ausgeschlossen werden, dass die Maschine im Krieg für andere Zwecke verkauft oder konfisziert worden war.


Quellen:
StBA: Archiv- und Registraturbestände der Stadt Bamberg
SDTB: Stiftung Deutsches Technikmuseum, Historisches Archiv
MuEC: MuEC Selb-Rehau
HvH: Foto Hans von Hinüber, Dürrenberg
ChrFi: Sammlung Christian Fiedler